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Mehrandokht

Das bin ICH

ICH BIN Mehrandokht Feizi…

Ich habe eigentlich sehr früh angefangen zu lesen und zu schreiben, aber das war überhaupt nicht freiwillig. Ich musste mit fünf mit meinem Vater Hausaufgaben machen und lesen und schreiben, deshalb – als ich zur Schule gegangen bin – konnte ich es bereits. Aus diesem Grund habe ich auch sehr früh angefangen, Bücher zu lesen. Das hat mich immer fasziniert. Vor allem iranische Literatur ist so reich und vielfältig, dass man sich eigentlich darin verliert. Und ich war verliebt in unsere Literatur, ich war verliebt in Gedichte. Die meiste Zeit, in der viele Kinder einfach gespielt haben, da war ich in meinem Zimmer und habe Bücher gelesen. Meine Mutter hat manchmal gehört, dass ich alleine in meinem Zimmer lache, und zwar ganz laut, und sie kam herein und sagte: „Achso, du liest wieder ein Buch.“

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Ich hab auch die Fotografie geliebt. Unsere erste Polaroidkamera – da war ich glaube ich sechs Jahre alt – haben meine Schwester und ich heimlich geklaut. Die Negative waren total teuer und wir durften nicht damit spielen. 

Mit der Kamera konnte man einmal so richtig posieren und dann Fotos machen. Ich habe fast immer das ganze Fotopapier verbraucht. Diese Verbindung der Bilder mit den Geschichten hat mich ziemlich fasziniert. Ich habe dann irgendwann angefangen selbst zu schreiben. Ich hab Gedichte geschrieben, ich bin ja schließlich die Generation der Revolution. Als die Revolution im Iran passierte, war ich neun Jahre alt. Plötzlich hatten wir sehr viele Bücher, die so eine linke, politische Richtung hatten. Das heißt, wir haben sehr viele sozialkritische Bücher für Kinder gehabt. Vorher gab es die bei uns nicht, wir lebten in so einer heilen Welt. In der Schah-Zeit haben wir es gut gehabt, wir haben nicht gewusst, dass es arme Menschen gibt. Ich komme aus keiner reichen Familie, wir waren Mittelschicht, aber wir waren auch kleinbürgerlich. Was ich dann in diesen Büchern gelesen habe, das hat mir meine Augen geöffnet. Ich habe ich ein großes Herz bekommen für Menschen, die ich nicht kannte. Das hat glaube ich einen anderen Menschen aus mir gemacht, und zwar ganz früh. Als ich sechzehn war habe ich die ganzen Bücher von der modernen iranischen Literatur bis hin zu den Klassikern Europas verschlungen. Dabei hat sich glaube ich meine Welt total verändert.

Ich muss auch sagen dass meine Mutter ein großer Kinofan war. Sie hat uns immer zum Kino gebracht. Am Wochenende machten wir oft einen Ausflug und meine Mutter wollte immer ins Kino. […] Dabei habe ich die Leidenschaft für ästhetische Kunst, also Bilder, mit dem Geschichten erzählen verbunden und habe ich herausgefunden, dass ich eine gute Regisseurin werden kann. Ich muss Filme drehen.

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[Im Zusammenhang mit Dreharbeiten zu einem deutsch-iranischen Filmprojekt musste Mehrandokht Feizi aus dem Iran fliehen und in Deutschland Asyl beantragen.]

Als ich mein Asylrecht [hier in Deutschland] bekommen hatte, wollte ich eigentlich nach Köln, weil ich gehört habe, dass Köln die Medien-Stadt ist. Da könnte ich anfangen zu arbeiten und Filme machen. Ich habe ein paar Monate nach einer Wohnung gesucht, aber das war unmöglich – ich habe keine Wohnung gefunden. Ich hatte ein paar Freunde in Wuppertal und durfte ein paar Tage bei ihnen übernachten, damit ich weiter in Köln nach einer Wohnung suchen konnte. Ich habe damals ganz weit weg in Nordhorn gewohnt. Meine Freunde haben plötzlich, als ich zurück nach Hause wollte, zu mir gesagt: „Warum kommst du nicht nach Wuppertal? Du möchtest doch nach Köln und wir sind nur eine halbe Stunde von Köln entfernt, du kannst hier günstig leben und du hast Freunde hier.“ Am selben Tag habe ich dann eine Wohnung gefunden. So bin ich nach Wuppertal gekommen. Ich muss aber dazu sagen: Ich bin so selten in Köln, das hat letztendlich nicht funktioniert. Aber ich bin froh, dass ich in Wuppertal bin. Die Wuppertaler haben mich als Filmemacherin akzeptiert, ich habe mittlerweile Projekte hier, ich gebe Filmworkshops in Jugendhäusern und bei der Pina-Bausch-Stiftung. Ich habe einen kurzen Spielfilm hier auf der Marienstraße gedreht. Der Film wird jetzt auf einem Festival in den USA gezeigt.

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Arbeiten macht mir Spaß. Das war schon immer so. Die Arbeit mit Jugendlichen: Ich habe mir nie gewünscht, eine Lehrerin zu sein, jemandem etwas beizubringen, also in dem Sinn eine Lehrerin zu sein. Aber weil es um Filme geht und die Kinder und Jugendlichen eine andere Vorstellung und Fantasie haben macht es Spaß, mit ihnen zu arbeiten. Sie sind frei und können ganz frei ihre Ideen sagen. Ich finde es total spannend, mit ihnen zu arbeiten. Ja, ich muss sagen, es macht mir Spaß. Aber was mir am meisten Spaß macht, das ist einen richtigen Spielfilm zu drehen. Da benutze ich dann immer noch meine eigene Fantasie.

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Als ich im Iran war, hatte ich nie wirklich eine Heimat gehabt. Ich hatte mich irgendwie heimatlos gefühlt, schon immer. Ich habe natürlich, als ich aus dem Iran geflohen bin, sehr viel verloren. Und ich musste hier von vorne anfangen. Ich musste die Sprache lernen, ich musste Menschen kennenlernen, ich musste die Kultur kennenlernen. Das war alles nicht so einfach. Vielleicht sah am Anfang alles total negativ aus für mich, besonders dass ich von Null anfangen musste, vielleicht sogar bei Minus, weil ich nicht einmal die Sprache konnte. Aber mittlerweile bin ich froh, dass ich diese Erfahrung in meinem Leben gemacht habe, weil ich auch schon sehr vieles gelernt habe. Durch meine Fluchtgeschichte habe ich so vieles gelernt…ich bin ein – ich denke ich bin ein besserer Mensch geworden. Ich kenne diese Situation nun, die ich vielleicht in meiner Heimat nie erlebt hätte. Ich habe mittlerweile sehr viele gute Freunde in Deutschland. Wuppertal war für mich eine furchtbare Stadt. Ich dachte: es ist klein, es ist so grau. Vor allem ist es ein Tal, und ich mag den weiten Blick, aber hier sehe ich immer nur Berge. Also von der Natur her passte es mir überhaupt nicht, aber mittlerweile habe ich so viele gute Freunde und Menschen hier kennengelernt, dass ich Wuppertal als meine Heimat akzeptiert habe. Ich will erstmal gar nicht von Wuppertal weg. Ich habe das akzeptiert. Ein paar Jahre habe ich gekämpft und jetzt möchte ich einfach hierbleiben. Ich hab auch aufgehört, politische Aktivitäten mitzumachen, weil ich festgestellt habe, ich brauche erstmal …. Ja, um sesshaft zu werden braucht es erstmal ein Zuhause. Wenn ich mich jeden Tag mit solchen Sachen [politischen Aktivitäten] beschäftige, kann ich nie ankommen. Ich muss dann immer denken: „Oh Gott, ich bin ein Flüchtling gewesen. Alles fühlt es sich eher so vorübergehend an. Das ist nicht meine Heimat und es ist alles hier schwierig und schlimm und die Menschen hier akzeptieren mich nicht.“ Jetzt habe ich aufgehört so zu denken.

Ich bin immer noch interessiert an persönlichen Geschichten von einzelnen Menschen: der Obdachlose, der Flüchtling, der Lehrer. Was haben sie im Kopf, was haben sie zu erzählen, was kann man zeigen, weil nur das das Einzige ist, was uns reicher machen kann: Unsere Kultur, als Menschen miteinander zu leben und diese Grenzen, die so gar nicht existieren in der Natur, auch einfach nicht zu akzeptieren und einfach zu sagen: „Hallo, wir sind alle nur Menschen und wir wollen einfach miteinander leben und was soll daran so schwer sein.“ Und mit dem Erzählen von Geschichten kann man das auch alles erreichen. Ich möchte nicht die politische Arbeit in Frage stellen, aber ich glaube, das ist eher nicht mein Job. Meine Freunde, die das sehr gut machen, die sollen das machen denn das braucht jede Gesellschaft, und zwar so vielfältig wie möglich. Nur so können wir weiterkommen.

[…]

Was mein nächstes Projekt angeht: Ich weiß nicht, ob das schon reif genug ist zum Erzählen, aber ich erzähle es trotzdem. Das Wichtigste haben wir schon geschafft und deshalb erzähle ich es. Das Projekt hat auch etwas mit Heimat zu tun. Ich dachte, als Filmemacherin ist es total schwierig, hier zu arbeiten, aber ich möchte unbedingt in dem Bereich bleiben, weil das meine Leidenschaft ist. Als ich meinen letzten Spielfilm, den ich hier in Wuppertal gedreht habe, zu verschiedenen Festivals geschickt habe, habe ich festgestellt, dass es sehr viele Filmfestivals in Europa gibt, aber in Deutschland leider nur wenige. Warum haben wir kaum Filmfestivals in Deutschland? Ich habe darüber nachgedacht und auf einmal „Ping!“ ist eine Lampe in meinem Kopf angegangen und ich dachte: Ich mache ein Filmfestival in Wuppertal, ein internationales Filmfestival! Ich habe ein paar sehr guten Freunden davon erzählt und wir haben zusammen einen Verein gegründet: „Wuppertal International Filmfestival“. Wir werden die Gelder erstmal beantragen und werden dann unser erstes internationales Wuppertaler Filmfestival hier bei uns veranstalten. Warum ich gesagt habe, dass es mit Heimat zu tun hat: Letztes Jahr war ich in der Türkei und da habe ich mein Portemonnaie verloren, mit meinem Ausweis, meinem Geld und allem Drum und Dran. Ich hatte nichts und musste drei Wochen länger bleiben als geplant. Bis zu diesem Zeitpunkt war ich immer noch keine Wuppertalerin. Ich habe hier angerufen und alle Wuppertaler Freunde haben mich unterstützt. Sie haben mir permanent Geld geschickt, sie haben für mich eine Unterkunft gefunden, wo ich wohnen konnte. Das war ein Gefühl von Heimat. Ich war ja in einem ganz fremden Land. Ich war zum ersten Mal in der Türkei und alles wurde mir geklaut! Dann kam ich zurück und plötzlich wussten alle, dass ich nicht in Wuppertal gewesen war. Mein Nachbar hatte sogar bei der Pina-Bausch-Stiftung angerufen und hatte jemanden gefragt, wo Mehrandokht geblieben sei, und jemand, der Frank hieß, hat ihm gesagt: „Mach‘ dir keine Sorgen, sie ist in der Türkei und ihre Sachen wurden geklaut. Sie kommt etwas später.“ Das Lustige ist: Ich kenne Frank überhaupt nicht! Und da habe ich gewusst: Ich bin Zuhause. Ich bin Zuhause, und wenn man das nicht Zuhause nennen kann, was dann sonst?

Seit dem denke ich nicht mehr darüber nach, dass ich irgendwo anders hingehen möchte. Dieses Wuppertaler Filmfestival ist für mich ein neuer Anfang für eine neue Heimat: für eine Stadt, die ich liebgewonnen habe. Dieser Stadt will ich was zurückgeben.

Fotograf: Evangelos Rodoulis
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