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Julia

Das bin ICH

Ich bin eine in Deutschland geborene Spanierin und werde manchmal gefragt, wieso ich dann nicht Deutsche bin. Eine berechtigte Frage zu einem Thema, dass mich ständig begleitet und beschäftigt. Aber warum eigentlich?

Ein Grund sind meine Eltern. Sie sind in den Siebzigern aus Spanien nach Deutschland emigriert. In meiner Kindheit und zu Hause wurde immer wieder betont, dass wir Spanier sind. Das hat für mich bedeutet, dass einige Dinge anders liefen als bei meinen deutschen Freunden.

Erstens: Zuhause wurde nur Spanisch gesprochen, dadurch ist das auch meine   Muttersprache. Zweitens: Das soziale Umfeld meiner Eltern bestand nur aus Spaniern, die auf gemeinsamen Treffen häufig von einer Rückkehr nach Spanien träumten. Eine mögliche Rückkehr in meine sogenannte Heimat wäre also jederzeit möglich gewesen. Ich habe mich immer so gefühlt, als würde ich nicht vollständig in dieses, meinen Eltern fremd erscheinende Deutschland gehören. Unterstützt wurde dieses Gefühl noch von den alljährlichen Sommerurlauben in Spanien bei meiner Familie. Dort habe ich festgestellt, dass ich mit dem mir nicht so gut bekannten Spanien eine enge emotionale Verbindung habe, was auch an den mir gegenüber sehr aufgeschlossenen Verwandten lag. Umgeben von meiner Familie, inmitten des spanischen Trubels, fühlte ich mich sehr aufgehoben und Zuhause.

Einmal ging ich von der Grundschule nach Hause, beschwingt und schneller als sonst. Noch in der Haustür rief ich nach meinen Eltern und erzählte ihnen fröhlich, dass ich von einer Freundin eingeladen wurde, am Wochenende bei ihr zu übernachten. Meine Eltern antworteten: „Wir sind Spanier – wir schlafen Zuhause.“ Die Antwort kam sehr überraschend, ich habe sie nicht verstanden, aber meine Eltern blieben bei ihrer Haltung. Erst viel später bekam ich bei einer anderen Einladung die Erlaubnis, woanders zu schlafen.

In den ersten zehn Schuljahren wurde meine Freizeit sehr stark von dem muttersprachlichen Unterricht vereinnahmt. Brav fuhr ich zwei Mal in der Woche eine Stunde hin und eine Stunde zurück. Stunden, in denen meine deutschen Freunde Freizeit hatten: im Wald toben, Musik hören, im Freibad schwimmen oder einfach nichts tun. Doch zu diesem Unterricht habe ich mich verpflichtet gefühlt. Ich wollte meine Wurzeln pflegen, im Gegensatz zu meinen deutschen Freunden.

Während des Studiums habe ich ein Auslandssemester im spanischen Granada verbracht. Ich habe mich dort gut eingelebt. Zwischen zwei Vorlesungen, bei einem Essen in der Mensa, saß ich an einem Tisch und schaute mich um. Meine Kommilitonen sahen so aus wie ich, wir sprachen die gleiche Sprache, wir haben uns ähnlich verhalten. Mein Gefühl sagte mir: hier gehöre ich hin. Dann setzte sich ein Student zu mir an den Tisch und wir kamen ins Gespräch. Nach ein paar Sätzen fragte er: „Woher kommst du?“ Ich war erstaunt über die Frage, aber später fand ich heraus, dass meine Kleidung mich verraten hatte.

Neben dem Spanisch-Unterricht gab es noch eine andere Pflichtveranstaltung: einmal im Jahr die Aufenthaltsgenehmigung verlängern lassen. Somit saß ich jedes Jahr im Einwohnermeldeamt, musste eine Nummer ziehen und warten. Warten, dass ich ein weiteres Jahr in Deutschland bleiben darf. Es bestand kein Zweifel, ich bekam die Erlaubnis immer, aber trotzdem musste ich jedes Jahr aufs Neue dort antreten, eine Nummer ziehen und warten.

Auch als Teenager erfuhr ich in manchen Situationen, dass ich nicht nach Deutschland gehörte. Kahl rasierte Pubertierende sagten mir das in der Stadt oder im Freibad. Es war mir schnell klar, dass sich dies auf einen anderen, wichtigen Bestandteil meines Spanischseins bezog: Ich sehe nicht “deutsch“ aus! Egal, ob ich hier geboren bin oder nicht: Man sieht es mir nicht auf den ersten Blick an. Und wenn es Fremdenhass in Deutschland gibt, dann ist dieser auch gegen mich gerichtet.

Ich ging nach Schottland, um mein Englisch zu verbessern. Meinen Kollegen gegenüber werde ich dort als „spanische Mitarbeiterin“ vorgestellt.  Im Unternehmen sprechen alle Englisch. Doch schon bald fragen die ersten nach meinem deutschen Akzent.

Auf die Frage, woher ich denn komme, habe ich sehr oft mit „Spanien“ geantwortet und dann meistens ein Lächeln als Reaktion erhalten. Schon früh durfte ich lernen, dass es durchaus auch positiv ist, in Deutschland spanisch zu sein. Die Menschen hier finden das gut. Spanien ist ein schönes Land und die Spanier erhalten als Dank ein Lächeln dafür. Somit fiel mir mit sechzehn - nach einigen Reflexionen zu meiner Staatsbürgerschaft - die Entscheidung recht einfach. Ich wollte Spanierin bleiben, denn die doppelte Staatsbürgerschaft stand damals nicht zur Wahl.

Als ich nun aber nach der Schule und während des Studiums mit meinem spanischen Pass durch die Welt fuhr, fiel mir auf: Ich bin auch nicht richtig spanisch. Zum ersten Mal erklärte ich Menschen, dass ich zwar spanisch bin, aber in Deutschland geboren sei.

Auf einer Reise mit meiner Freundin Claudia durch Südamerika sagte ich: „Ich komme aus Spanien“. Doch Claudia stellte mich anders vor und sagte: „Sie kommt aus Deutschland.“ Am Strand haben wir uns über die verschiedenen Sichtweisen gestritten. Wir verstanden uns nicht, ich war verwirrt und verärgert. Seitdem nehme ich immer die längere Version: „Ich komme aus Spanien, bin aber in Deutschland geboren.“

In der spanischen Uni wurde ich anhand meiner Kleidung auf einmal als Nichtspanierin identifiziert. Während einer Reise durch Südamerika entstand eine Auseinandersetzung mit meiner Reisebegleitung, weil ich immer erzählte, dass ich aus Spanien käme. Mir war das nicht bewusst. Ich habe einfach das geantwortet, was ich ein Leben lang auch in Deutschland zu neuen Menschen gesagt habe: Ich bin Spanierin. Da ich meine Muttersprache beherrsche, hat das auch keiner in Südamerika in Frage gestellt. Aber meine Begleitung hatte Recht: Aus der Ferne betrachtet bin ich dann doch vielleicht eher eine in Deutschland geborene Spanierin.

Aber am Ende ist es mir fast egal. Ich bin Julia, ich bin Spanierin und irgendwie auch Deutsche, aber am meisten bin ich Mensch.

 

Erzählende: Julia Ferrer, Text: Julia Ferrer, Matthias Prause, Redaktion: Dirk Domin

 

Das nächste Portrait über Berihu erscheint am 17.12.16  um 12 Uhr auf dieser Hompage und auf der Facebook-Seite von "Das bin ICH"

Fotografin: Celia Wagner www.celia-wagner.com
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